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Jewgeni Onegin, Roman in Versen von Alexander Puschkin

  • Jewgeni Onegin
  • Jewgeni Onegin von Puschkin
  • Der Verseroman „Jewgeni Onegin“ (1823-1830) ist das bekannteste Werk Puschkins. In dem Roman „spiegelt sich das Jahrhundert und der moderne Mensch“. Eigens für diesen Roman wurde die so genannte Onegin-Strophe geschaffen.
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Der Verseroman „Jewgeni Onegin“ (russ.: „Евгений Онегин“) (auch Eugene Onegin) (1823-1830) ist das bekannteste Werk Alexander Puschkins. Hier zeigt sich Puschkin als Realist und beschreibt das Leben des damaligen Russlands in seiner Vielfalt. In dem Roman „spiegelt sich das Jahrhundert und der moderne Mensch“.

Der komplette Roman besteht aus acht Kapiteln, Anmerkungen des Autors und „Auszügen aus Onegins Reisen“, die für ein neuntes Kapitel gehalten werden können. Lange gab es viele Hinweise darauf, dass Puschkin auch ein zehntes Kapitel des Romans verfasst hat. 1904 tauchte ein verschlüsseltes Manuskript des Dichters auf. Nachdem ein Großteil der Aufzeichnungen entschlüsselt wurde, verstand man, dass Puschkin gute Gründe hatte, diese Verse versteckt zu halten. Das war scharfe Kritik auf den Zaren Alexander I. Literaturwissenschaftler vermuten, dass dies das zehnte Kapitel von „Jewgeni Onegin“ war.

Auszüge aus dem Verseroman „Jewgeni Onegin“

Französisch sprach er recht manierlich,
Es ging ihm leicht von Mund und Hand,
Mazurka tanzt‘ er elegant,
Und grüßte alle sehr natürlich;
Was braucht es mehr fürs Etikett:
„Begabt und ausgesprochen nett!“

Ein bisschen lernten wir ja alle
Wohl irgendwas und ungefähr,
So ist, gottlob in unserem Falle
Mit Bildung glänzen gar nicht schwer.
Onegin war, wie viele dachten
(Die strenge Riechermienen nachten),
Ein kluges Haus, dabei Pedant,
Und doch so glücklich und gewandt,
Sich zwanglos im Gespräch zu zeigen,
Leichthin zu streifen jedes Stück,
Mit hochgelehrtem Kennerblick
Bei ernsten Themen stillzuschweigen,
Und brachte Damen mühelos
Zum Lächeln mit ein Paar Bonmots.

Onegins Lebensweise gibt dem Leser einen Einblick in das Leben der St. Petersburger „goldener Jugend“ Anfang des 19. Jahrhunderts: Man geht gerne ins Theater, kleidet sich nach der letzten Mode, tanzt gut und redet gerne über die Literatur.

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Der Saal ist voll, die Logen funkeln;
Parterre und Sessel summt und lebt;
Ganz oben klatscht man schon im Dunkeln,
Bis rauschend sich der Vorhang hebt.

Applaus rauscht auf. Da kommt Onegin,
Stelzt über Beine durch die Reihn
Und stellt sein Opernglas verwegen
Auf fremder Damen Logen ein;
Sein Blick streift alle Ränge oben;
Sowohl Gesichter wie Garderoben,
So stellt er fest, sind ihm ein Graus,
Er tauscht mit Herren Grüße aus,
Um auf die Bühne dann zu blicken
Eher zerstreut als konzentriert,
Schaut weg und gähnt – konstatiert:
„Man sollte sie nach Hause schicken;
Dedelots Ballett war niemals toll,
Doch jetzt hab ich die Nase voll.“

Man kann sehr wohl die Nägel pflegen
Und dennoch stehen seinen Mann:
Lohnt’s, mit der Zeit sich anzulegen?
Die Mode ist der Welt Tyrann.
In seiner Kleidung war Onegin
Der neidischen Rivalen wegen,
Ganz wie Tschadajew, ein Pedant;
Wir nannten so was damals Fant.
Drei Stunden konnten ihm kaum reichen,
Wenn er vor Spiegeln tätig war,
Und kam er aus dem Boudoir,
War er der Venus zu vergleichen,
Die Flatterhaft, in Männertracht,
Zum Maskenball sich aufgemacht.

So frei, so jung und so verwöhnt,
So oft von leichtem Sieg bekrönt
Im täglichen Genusses spielen?
War er bei alledem im Grund
Zwar unvorsichtig, doch gesund?
Nein: früh schon sein Gefühl vereiste;
Der Lärm der Welt war ihm zuviel;
Nicht lang um junge Schönen kreiste
Sein Sinnen als gewohntes Ziel;
Treubrüche wurden ihm verdrießlich,
Auch Freunde und die Freundschaft schließlich,
Denn wirklich konnt er ja nicht stets
Straßburgs Pasteten und Koteletts
Mit Strömen Sektes übergießen
Und geistreich sein auf Schritt und Tritt,
Auch wenn er unter Kopfweh litt;
Obzwar nicht zögernd, sich zu schießen,
Zuletzt ging auch die Lust vorbei
Am Gang auf Säbel oder Blei.

Onegin ist gelangweilt und als er die Nachricht bekommt, dass sein Onkel im Sterben liegt, denkt er nicht lange darüber nach und geht des Geldes wegen in die Provinz. Der Onkel ist bereits gestorben und hatte Onegin sein Gut vererbt.

Zwei Tage warn ihm neu die Felder,
Die tiefe Einsamkeit umzieht,
Die kühle dunkle Eichenwälder,
Des Baches leises Murmellied;
Am dritten reizten Hügel, Änger
Und Haine ihn schon nicht mehr länger;
Dann machten sie ihn schläfrig gar;
Und alsbald sah er völlig klar:
Er war im Dorf genauso sauer,
Gab es auch Karten, Ball, Gedicht
Und Straßen und Paläste nicht.
Der Überdruss lag auf der Lauer
Und lief ihm nach genauso gut,
Wie’s Schatten oder Gattin tut.

In den lyrischen Abschweifungen beschreibt Puschkin liebevoll die Natur, die Ruhe und die Freiheit, die zum Nachdenken verleiern und Kreativität fördern.

Immer wieder während des Romans vergleicht sich Puschkin mit seinem Hauptcharakter. Er stellt Onegin als einen guten Bekannten dar und macht in seinen Anmerkungen deutlich, ob er ihm sympathisiert und der gleichen Meinung ist oder nicht.

Ich war geboren für die Stille
Ländlicher Abgeschiedenheit:
Der leier Klang gewinnt dort Fülle,
Der Schöpfertraum Lebendigkeit.

Landleben, Blumen, Liebe, Muße,
Felder! Mein Herz gehört nur euch.
Und stets vermerk ich mit Genusse,
Worin ich nicht Onegin gleich‘,

Im Dorf freundet sich Onegin mit einem jungen Landsherr Wladimir Lenski an.

Sein Dorf bezog zur gleichen Stunde
Ein neuer Gutsbesitzer da,
Der Anlass gab, dass in der Runde
Man gleichfalls kritisch ihn besah:
Ein Jüngling in der schönen Blüte,
Der Kant las und für Dichtung glühte.
Wladimir Lenski hieß der Mensch;
An Seele wahrhaft göttengensch,
Brach er aus Deutschland Nebeln mit sich
Die Früchte der Gelehrsamkeit:
Den Traum von freier, bessrer Zeit,
Den Geist recht sonderbar und hitzig,
Der Rede stets erhabnen Klang
Und schwarze Locken schulterlang.

Von der verderblichen Welt Gemeinheit
War er noch nicht verdorrt zum Glück,
So wärmte seiner Seele Reinheit
Noch Freundesgruß und Mädchenblick;

Lenski wird von der jungen schönen Nachbarstochter Olga verzaubert. Ihre Schwester Tatjana Larina verliebt sich in Onegin.

Nun gut, Tatjana hieß sie eben.
Sie lud nicht wie ihr Schwesterlein
Mit Schönheit oder blühendem Leben
Die Blicke zum Verweilen ein.
Verschwiegen, traurig, unzugänglich
Wie eine Hindin scheu und bänglich,
Wirkte bei Sippe und Gesind
Sie fast wie fremder Leute Kind.

Über beide Ohren verliebt und in Sachen Liebe unerfahren entscheidet Tatjana sich, ihre Liebe zu offenbaren und schreibt Onegin einen Brief.

Ich schreib an Sie – muss ich’s begründen?
Sagt dies nicht mehr als Worte tun?
Sie dürften, wenn Sie’s richtig finden,
Mich strafen mit Verachtung tun.
Doch wenn Sie etwas mitempfinden
Mit meinem Traurigen Geschick,
So stoßen Sie mich nicht zurück.

Der Himmel will es: ich bin Dein;
Mein Leben war dafür verpfändet,
Dass Du mich triffst und löst es ein;
Ich weiß es: Gott hat Dich gesendet,
Mein Hüter bis ans Grab zu sein…
Du bist mit oft im Traum erschienen,
Ich liebt Dich, eh ich Dich gesehn,
Dein Zauberblick ließ mich vergehn,
Und Deine Stimme klang tief innen
Mir längst… das war kein Traum, viel mehr!
Kaum tratst Du ein, und ich erkannte,
Ich fühlte nichts mehr, ich entbrannte,
Und sprach im Geiste: das ist Er!

Ich schließe! Schrecklich, was ich schrieb…
Ich sterbe fast vor Scham und Grauen…
Doch da mir Ihre Ehre blieb,
Will ich mich kühn ihr anvertrauen.

Tatjanas natürliche Offenheit rührt Onegin, der viele Affären mit Petersburger Schönheiten hatte und nicht in die Liebe glaubt. Doch er entscheidet sich, ihre Liebe nicht zu erwidern.

Erst waren beide stumm geblieben,
Dann trat Onegin zu ihr hin
Und sprach: „Sie haben mir geschrieben,
Gestehn Sie’s nur. Ich las darin
Vertrauensselige Konfessionen,
Unschuldiger Liebe Effusionen;
Ich schätze Ihre Lauterkeit;
Gefühle, die seit lange Zeit
Erkaltet, ließ sie wieder brennen;
Doch sie zu loben liegt mir fern;
Entgelten aber will ich’s gern
Und gleichfalls kunstlos mich bekennen;
Hier meine Beichte als Beweis:
Ich geb mich Ihrem Urteil preis.

„Hätt ich den Wunsch, mein ganzes Leben
Nur dem Familienkreis zu weihn;
Hätt mir ein freundlich Los gegeben,
Gemahl und Vater einst zu sein;
Hätten mich häuslichen Idyllen
Jemals verlockt auch nur im Stillen –
Um keine andre weit und breit
Als nur um Sie hätt ich gefreit.

„Doch seit ich in die Welt getreten,
Hab nie ich solches Glück begehrt;
Umsonst sind Ihre Qualitäten:
Denn ich bin ihrer gar nicht wert.

Sosehr ich Sie auch liebte, bald
Ließ‘ die Gewohnheit nicht schon kalt;
Sie würden weinen: Ihre Tränen,
Die stimmten dann mein Herz nicht mild,
Sie machten mich vielmehr nur wild.

So bin ich aber. War es das denn,
Was Ihrer Seele reine Glut
Gesucht, als Sie so schlicht und gut
Und geistreich Ihren Brief verfassten?
Hat etwa solches Los die Macht
Des Schicksals Ihnen zu gedacht?

So etwa predigte Onegin.
Tatjana sieht vor Tränen nicht,
Sie atmet kaum, sagt nichts dagegen
Und hört nur traurig, was er spricht.

Es ist deutlich zu spüren, dass Puschkin die Figur Tatjana Larinas mit viel Liebe kreiert hat. Sie ist für ihn die perfekte russische Frau, „Russin in der Seele“. Ihre Natürlichkeit, seelische Reinheit und moralische Standfestigkeit faszinierte auch schon viele Generationen der Leser.

Tatjana glaubte all dem Wesen,
Wie’s altersher im Volke wohnt:
Traumdeuterei und Kartenlesen
Und Prophezeiung aus dem Mond.

In einer Nacht träumt Tatjana, dass sie bei einem Spaziergang durch den Wald von einem riesigen Bären verfolgt wird. Als sie müde in den Schnee fällt, hebt sie der Bär auf und trägt zu einer Hütte. Wenn Tatjana wieder zu sich kommt, ist der Bär weg. Aus einem Nebenraum hört sie Geräusche „als wär’s ein großer Leichenschmaus“. Durch einen Türspalt sieht sie viele Ungeheuer am Tisch sitzen. Onegin ist auch da und scheint der Hausherr zu sein. Sie öffnet die Tür etwas weiter, doch Onegin merkt das, steht wütend auf und geht auf die Tür zu. Tatjana versucht zu fliehen, doch das geht nicht. Die Monster kommen in den Raum und schreien „Für mich!, Für mich!“. „Für mich!“, sagt Jewgeni drohend, und die Teufelskreaturen verschwinden. Onegin legt Tatjana sanft auf eine Bank in der Ecke des Raums. In dem Moment kommen Olga und Lenski herein. Onegin wird wütend, schimpft die Gäste, und der Streit wird immer lauter. Plötzlich zieht Onegin ein langes Messer und ersticht Lenski. …Erschrocken wacht Tatjana auf.

Verstört von ihrem Traumgesichte,
Im Zweifel, was es wohl besagt,
Sie nach der schurigen Geschichte
Geheimem Sinn ihr Traumbuch fragt.
In einer kurzen Liste findet
Sie auf das Abc gegründet
Die Wörter: Bach, Bär, Brücke, Dolch,
Hahn, Hexe, Krebs, Licht, Messer, Molch
Et cetera. Den Zweifel lösen
Kann auch Martyn Zadeka nicht;

Jedoch der schlimme Traum verspricht
Ihr viel an Traurigem und Bösem.
Noch ein paar Tage hinterher
Bedrückte sie die Sache sehr.

Im Winter bei einer Feier im Hause Larins, flirtet Onegin mit Olga. Lenski wird eifersüchtig und fordert Onegin zu einem Duell auf. Zwar hat Jewgeni den jungen Poeten sehr gerne, doch es ist für ihn eine Ehrensache, die Herausforderung anzunehmen. Beim Duell wird Lenski von Onegin erschossen.

Onegin schaut, die Waffe pressend,
In quälender Gewissensnot
Auf Lenski hin, sich selbst vergessend.
Der Nachbar schließt: „Tja, der ist tot.“
Ist tot!… Dies Schreckenswort erschüttet
Onegin tief. Er geht und zittert
Und ruft nach seiner Dienerschaft.

Lenskis Tod erschüttet Tatjana mehr als ihre leichtsinnige Schwester. Bis Frühjahr vergisst Olga den Poeten und heiratet einen anderen.

Nach dem Duell verlässt Onegin das Dorf. Leidend aber immer noch verliebt, geht Tatjana zu seinem Haus und bekommt die Erlaubnis, zu kommen und seine Bücher zu lesen.


Ist dann die Bücher durchgegangen,
Nach denen ihr erst gar nicht war,
Doch deren Auswahl so bizarr
Ihr schien, dass Feuer sie gefangen
Und gierig immer weiter las;
Welch eine andre Welt war das!

Und langsam, aber unaufthalsam
Wird meiner Tanja – Gott sein Dank –
Nun klarer der, den so gewaltsam
Das Schicksal sie lieben zwang:
Der Krauz, so traurig wie gefährlich,
In dem sie einst vermutet ehrlich
Bald Höllenbrut, bald Himmelsbild,
Ihr Engel rein, ihr Dämon wild,
Was ist er nun? …

Tatjanas Mutter beschließt, ihre Tochter nach Moskau zu bringen und ihr endlich einen passenden Mann zu finden. Doch Moskaus Glanz, Bälle und Empfänge beeindrucken Tatjana nicht. Sie fühlt sich in dieser Welt fehl am Platz.

Das lärmt und lacht und grüßt die Eile,
Galopp, Mazurka, Walzer… Doch
Zwischen zwei Tanten, an der Säule,
Bisher bemerkt von niemand noch,
Schaut Tatjana blicklos auf die Menge;
Sie hasst der großen Welt Gedränge,
Ihr wird hier übel… und ihr Traum
Schweift heim aufs Land zu Feld und Baum,
Zum armen Volk, zum Dorf der Ahnen.
In ihr versponnenes Idyll,
Wo Bächlein murmeln klar und still,
Zu ihren Blumen und Romanen,
In schattiger Alleen Grün,
Dorthin, wo er ihr einst erschien.

Nachdem Onegin ziellos durch die Welt gereist ist, kehrt er nach Moskau zurück und sieht Tatjana auf einem Ball.

Tatjana ist jetzt Fürstin und Frau eines alten Bekannten Onegins. Ihr ruhiges Verhalten bei ihrem Wiedersehen überrascht und verwirrt Onegin.

Nein, nein! Da gab es kein Erbeben,
Nicht Blass, nicht Rot schoss ins Gesicht,
Nicht mal ein Augenbrauenheben,
Sogar den Mund verzog sie nicht.

Onegin fand, wie er auch immer
Sich mühte, nicht den kleinsten Schimmer
Der früheren Tatjana hier.
Und als er reden wollt mit ihr,
Da – konnt er’s nicht. Sie frug nach Daten,
Seit wann er hier sei, wo er war,
Ob nicht in ihrer Heimat gar?
Dann richtete sie auf den Gatten
Den müden Blick noch und entschwand…
Und er blieb stehn wie festgebannt.

Nun ist Onegin verliebt, doch Tatjana beachtet ihn nicht.

Kein Zweifel: ach! Jewgeni war in
Tatjana wie ein Kind verliebt;
Und Tag und Nacht muss er erfahren,
Wie Liebessucht ihn betrübt.
Zum Trotz dem warnenden Verstande
Kommt er zur gläsernen Veranda
Vor ihrem Hause Tag um Tag;
Er jagt ihr wie ein Schatten nach;
Er ist beglückt, ihr umzulegen
Den weichen, schlangengleichen Schal,
Nur glühend zu berühren mal
Den Arm, zu teilen ihretwegen
Die Buntlivrierten vor der Tür,
Ein Tüchlein aufzuheben ihr.

Jewgeni leidet und beschließt, Tatjana einen Brief zu schreiben.

Ich weiß im voraus: Sie verletzt,
Was ich hier Trauriges enthülle.
Welch bitterer Verachtungswille
Schleicht in Ihr stolzes Auge jetzt!
Was will ich denn? ZU welchem Ziele
Lass ich Sie meine Seele sehn?
Welch schadenfrohe Spottgefühle
Lass ich dadurch vielleicht entstehn!

Zufällig lernt ich einst Sie kennen,
Sah Sie in zarter Neigung brennen,
Doch ihr zu trauen, wagt ich nicht:
Zwang mich zu ungewohnter Scheuheit,
War meine abgestandene Freiheit
Mir zu bewahren nur erpicht.
Dann hat noch einer uns geschieden…
Lenskis unseliges Opferlos…
Von allem, was dem Herz hienieden
Lieb war, riss ich mein Herz los;
Vereinsamt, unabhängig, müßig,
Glaubt ich, Freiheit und Müße wär
Ersatz für Glück. Mein Gott! Wie sehr
Hab ich geirrt, wie bitter büß ich…
Nein: unablässig Sie zu sehn,
Zu folgen Ihnen allerorten,
Ihr Lächeln, Ihren Blick erspähn
Verliebten Auges, Ihren Worten
Andächtig lauschen, mit dem Herz
All Ihres Wertes innewerden,
Vor Ihnen blass, in Todesschmerz,
Vergehn… heißt Seligkeit auf Erden!

Doch komme nun, was will: ich weiß
Mir selbst nicht mehr zu widerstreben.
Es sei: In Ihre Hand gegeben,
Geb ich mich meinem Schicksal preis.

Als Onegin nach drei Briefen immer noch keine Antwort erhält, sieht er Tatjana bei einem Empfang und merkt, dass sie nicht verliebt, sondern wütend auf ihn ist. Jewgeni zieht sich zurück, ließt wieder viel, doch seine Gedanken schweifen immer wieder ab…

Was half es? Seine Augen lesen.
Doch die Gedanken schweifen weit;
Im tiefsten Grund der Seele wesen
Begierden, Träume, Traurigkeit.
Er ließ, statt auf gedruckten Zeilen,
Sein innres Auge nun verweilen
Auf andren Zeilen. Dort hinein
Versenkt sich tief sein ganzes Sein.
Von dort aus dunklen Herzensreichen
Uralt – geheime Kunde drang,
Bald Traum ohne Zusammenhang,
Einflüstrung, Drohung, Zukunftszeichen,
Bals Märchen, lang und wirr, doch tief,
Bald eines jungen Mädchens Brief.

Monate später, im Frühjahr verlässt Onegin sein Zimmer und fährt zu Tatjana.

…Trat, einem Toten zu vergleichen,
Ins Vestibül – kein Lebenszeichen.
Im Saal, noch weiter: niemand da.
Er öffnet eine Türe. Ja!
Was trifft so tief sein ganzes Wesen?
Allein, im Negligé, und blass,
Die Fürstin selber vor ihm saß.
Sie schien in einem Brief zu lesen,
Auf eine Hand gestützt das Kinn,
Und weinte leise vor sich hin.
Wer wäre von dem stummen Harme
Der Fürstin nicht sogleich gebannt!
Wer hätte Tanja da, die arme,
Die frühe Tanja nicht erkannt!
Voll Inbrunst, für ihr Leid zu büßen,
Wirft sich Jewgeni ihr zu Füßen;
Sie zuckt zusammen, aber dann
Schaut sie Onegin schweigend an,
Nicht Zorn noch Stauen im Gesichte…
Sein kranker Blick, der Flackernd fleht,
Sein stummer Vorwurf – sie versteht
Das alles gut. Das herzlich-schlichte
Verträumte Mädchen frührer Zeit
War wiederauferstanden heut.

Vorübergeht ein langen Schweigen,
Bevor sie leise sagt zum Schluss:
„Genug jetzt; stehn Sie auf. Ich muss
Mich Ihnen aufrichtig erklären.
Onegin, Sie erinnern sich,
Als das Geschick im Garten mich
Sie treffen ließ, wie Ihre Lehren
Ich angehört hab nach Gebühr?
Heut ist die Reihe nun an mir.

Onegin, damals war nicht nur ich
Sehr jung, und schöner sicherlich,
Ich liebte Sie; und was erfuhr ich?
Was hielt Ihr Herz bereit für mich?
Was war die Antwort? Nur Verwarnung.
Nicht wahr, Sie kannten aus Erfahrung
Kleinmädchenliebe nur zu gut?
Noch jetzt – bei Gott! – gerinnt mein Blut,
Denk ich des Blickes nur, des kalten,
Und dieser Predigt… Nein, ich klag
Nicht an: An jenem Schreckenstag
Haben Sie nobel sich verhalten,
Da waren Sie im Recht vor mir:
Von ganzem Herzen Dank dafür…

Damals – nicht wahr? – so weltentlegen,
Fernab von müßigem Geschwätz,
Gefiel ich Ihnen nicht… Weswegen
Verfolgen Sie mich denn nun jetzt?
Warum sind Sie auf mich versessen?
Ist’s deshalb nicht, weil unterdessen
In höchsten Kreisen ich verkehr,
Weil reich ich bin an Geld und Ehr,
Weil, da mein Mann versehrt in Schlachten,
Der Hof uns überhäuft mit Huld?
Ist’s nicht, weil meine Schmach und Schuld
Gleich überall die Runde machten
Und Sie in der Gesellschaft drum
Erwürben delikaten Ruhm?

Dabei, Onegin, all die Pracht hier,
Des schalen Lebens Flitterkleid,
Erfolge, die die Welt gebracht mir,
Mein Haus, modern und gastbereit,
Was soll’s? Ich würde ohne Fragen
Sofort dem Mummenschanz entsagen
Und all dem Glanz und Lärm und Quark
Für ein paar Bücher, meinen Park,
Für unsre anspruchlosen Räume,
Die Stätten, wo ich Sie zumal,
Onegin, sah zum erstenmal,
Und für des stillen Friedhofs Bäume
An jedem Kreuz, in dessen Hut
Nun meine arme Njanja ruht…

„Und dabei war das Glück so möglich,
So nah! … Doch ist mein Schicksal nun
Entschieden schon. Ich war womöglich
Zu unbedacht in meinem Tun:
Die arme Tanja war verloren,
Als Mutter Tränen sie beschworen,
Galt jedes Los ja gleich… Und ich
Willigte ein. Sie dürfen mich,
Ich bitte Sie, nicht länger quälen.
Gehn Sie! Ich weiß: Ihr Herz bewahrt
Noch Stolz und Ehre echter Art.
Ich liebe Sie (wozu’s verhehlen?),
Doch gab man einem andern mich;
Ihm wird ich treu sein ewiglich.“

Sie geht hinaus. Er bleibt noch stehen,
Gleichsam vom Donnerschlag gerührt.
Welche Gefühle Sturmesböen
Er tief im Herzen tosen spürt!
Doch plötzlich hallen Sporentöne,
Tatjanas Mann betritt die Szene,
Und hier nun wird mein Held am End,
Für ihn im peinlichen Moment,
Von uns verlassen werden müssen,
Für lang… für immer. Allzu weit
Durchstreiften wir schon Seit an Seit
Mit ihm die Welt. Und froh begrüßen
Wir uns im Hafen nun. Hurra!
Längst fällig (stimmt’s nicht?) war das ja!

(Aus dem Russischen von Rolf-Dietrich Keil.)

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Ein Kommentar zu “Jewgeni Onegin, Roman in Versen von Alexander Puschkin”

  1. Jana Schreiner

    So eine Weltkultur wird jetzt verboten! Ihr, Deutsche, eine aufgeklärte und immer noch in den älteren Generationen gebildete Nation, schämt euch nicht?

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