Couchsurfing in Russland
Wie ich fast zum Putin-Versteher wurde
- Couchsurfing in Russland
- Ein persönlicher Reisebericht von einer 10-wöchigen Russlandreise. Mit 59 farbigen Fotos, 39 schwarz-weiß-Abbildungen und einer Karte der Reiseroute. 256 Seiten.
In seinem Buch „Couchsurfing in Russland“ erzählt der Reisejournalist und ehemalige Redakteur von Spiegel Online von seiner Reise durch Russland. Das Buch ist kein Reiseführer und kein Ratgeber, sondern ein Reisebericht, der durch persönliche Interessen und Ansichten des Autors geprägt ist. Zehn Wochen lang reiste Stefan per Flugzeug, Bus, Auto und Zug durch Russland und erlebte einige Abenteuer. Der Couchsurfer übernachtete bei 24 Gastgebern und lernte „mindestens 99 wunderbare Menschen kennen und nur einen Deppen“. Während der Reise besichtigte der Autor auch emblematische und weniger bekannte Sehenswürdigkeiten. Doch im Mittelpunkt stehen nicht die sehenswerten Orte, sondern vor allem die Begegnungen mit Menschen aus verschiedenen Regionen der Russischen Föderation. Seine Entscheidung, nach Russland zu reisen, erklärt der Autor so:
Über kein Land der Erde ist die Informationslage derzeit verwirrender. Für mich heißt das: Es gibt kein Reiseziel, dessen Besuch gerade jetzt dringlicher erscheint. Zumindest für denjenigen, der das Unterwegssein nicht als Suche nach Spaß, sondern als Suche nach Erkenntnis versteht.
Wie der Untertitel „Wie ich fast zum Putin-Versteher wurde“ vermuten lässt, interessiert Stephan Orth die politische Situation in Russland. Das beeinflußt die Wahl der Gastgeber, die Gesprächsthemen, die besuchten Orte sowie die Informationen, die der Autor dem Leser näher erläutern möchte. Doch es geht nicht nur um Politik. Der Couchsurfer will Einheimische kennenlernen und erfahren, was Menschen in Russland über ihr Leben, ihr Land und die Welt denken. Dafür ist Couchsurfing perfekt. Denn beim Couchsurfing findet man über eine Internet-Plattform Menschen, die Reisenden kostenlos einen Schlafplatz in ihrer Wohnung bieten. So kriegt man einen Einblick in das Leben der Gastgeber.
Alltag ist normalerweise das Gegenteil von Urlaub. Für mich nicht, mein Urlaub findet im Alltag der anderen statt. Ich besuche mit Gastgebern ihre Stammkneipe, gucke mir Fotos ihrer letzten Reise an, erfahre etwas über ihren stressigen Tag im Büro oder die Trennung des besten Freundes.
Meine Begegnungen sind real, keine Inszenierung, ein gegenseitiges Geschenk von Zeit und Neugier. Und das ist mehr wert als alles andere.
Couchsurfing in Russland: Der Aufbau
Das Buch besteht aus 18 Kapiteln nach Hauptstationen der Reise. Jedes Kapitel beginnt mit einem Infokasten mit dem Namen des Orts auf Deutsch und Russisch (der russischer Buchstabe У wird allerdings mit Y wiedergegeben), der Einwohnerzahl, dem Föderationskreis und Position auf der Russlandkarte:
- Angekommen (in der Stad Mirny, Republik Jakutien, Ferner Osten)
- Moskau / Москва (Zentralrussland)
- Grosny / Грозный (Nordkaukasus)
- Machatschkala / Махачкала (Nordkaukasus)
- Elista / Элиста (Südrussland)
- Astrachan / Астрахань (Südrussland)
- Wolgograd / Волгоград (Südrussland)
- Die Krim / Крым
- Sankt Petersburg / Санкт-Петербург (Nordwestrussland)
- Jekaterinburg / Екатеринбург (Ural)
- Nowosibirsk / Новосибирск (Sibirien)
- Republik Altai / Алтай
- Scharowsk / Жаровск (Sibirien)
- Kysyl / Кызыл (Sibirien)
- Olchon / Ольхон (Sibirien)
- Jakutsk / Якутск (Ferner Osten)
- Mirny / Мирный (Ferner Osten)
- Wladiwostok / Владивосток (Ferner Osten)
Das Buch ist mit schwarz-weiß Fotos illustriert. Am Ende gibt es einen Bildteil mit 59 farbigen Fotos mit Impressionen von den besuchten Orten in Russland.
Es gibt im Buch ABC-Info-Kästen mit Zusatzinformationen zu Buchstaben des Alphabets, zum Beispiel, G wie Gretschka, J wie Juckreiz, U wie Unterführung oder W wie Walrosse.
Erfahrungen beim Couchsurfing in Russland
Stefans Gastgeber in Russland sind sehr unterschiedlich: Einzelpersonen, eine Familie mit Kindern, eine junge Frau, die sagt „Mein Vater ist ein Bär und meine Mutter eine Balalaika„, „ein ehemaliger Investment-Banker, der seinen hoch bezahlten Job schmiss, um im Dörfchen Chuschir eine orthodoxe Kirche zu bauen“, ein Hochzeitsfotograf, ein Meeresforscher, Anhänger des „Jesus Sibiriens“ etc.
Ganz verschieden sind auch die Unterkünfte. Der Couchsurfer übernachtet in Stadtwohnungen, in einem selbstgebauten Häuschen in einem Dorf auf der Krim, bekommt überraschend eine kleine Datscha bei Nowosibirsk für sich alleine, bestaunt ein Altgläubiges-Haus in Ust-Koks (Altai) und ein „Holzhaus, das in schwedischen Ferienhauskatalogen eine gute Figur machen würde“ in Scharowsk. Auf der Insel Olchon am Baikal See schläft er in einem Militärzelt zusammen mit anderen Reisenden.
Stefan spricht nur wenig Russisch und verständigt sich hauptsächlich auf Englisch, was generell kein Problem zu sein scheint, weil er sich mit Menschen verabredet, die Englisch sprechen.
Manche Gastgeber führen ihren deutschen Gast herum, erzählen ihm über ihre Familien, ihre Träume, ihre Musikvorlieben, ihre politische Ansichten, Medien, den sie ver- oder misstrauen etc. Manchmal erkundet der Couchsurfer die Orte auf eigene Faust. Stefan trifft auch Freunde der Gastgeber, Mitbewohner, andere Reisende und verabredet sich zusätzlich mit Leuten.
Die Pelmeni-Teigtaschen mit Schmand schmecken fantastisch und kosten quasi nichts, es ist immer eine Freude, mit Einheimischen in ihre Lieblingsläden zu gehen.
Es ist auch interessant zu erfahren, was Menschen in Russland über Deutschland und die Deutschen denken. Hier ein paar Beispiele:
„Ich mag Deutschland, die Pünktlichkeit, die Ordentlichkeit, die schöne Sprache.“ Er habe sogar unter seinen Freunden den Spitznamen „Der Deutsche“, weil er sehr ordentlich sei.
Wadim wollte, wenn schon mal ein Deutscher in der Stadt ist, unbedingt ein Bier mit mir trinken gehen. Sogleich führt er mir seine Sprachkenntnisse vor: „Heil Hitler. Sieg Heil. Hände hoch. Das ist fantastisch.“
Aus Deutschland? Solche Straßen bist du nicht gewohnt, was?
Stephans Bild von Russland ist allerdings von gängigen (leider oft negativen) Stereotypen und Klischees geprägt. Es entsteht der Eindruck, dass der Autor durch diese Voreingenommenheit gewisse Dinge in Russland so sieht wie er sie erwartet. Doch es gibt auch positive Überraschungen. Nach einer Autopanne spricht er die Wahrheit Nummer 13 aus, die lautet
Russlands Dienstleistungssektor ist besser als sein Ruf.
Um am Ende der Reise heißt es:
In verschiedener Intensität hat jeder Vorurteile über andere Länder, weil die Informationen, die wir zusätzlich zu unserem Grundwissen bekommen, meistens das Außergewöhnliche beschreiben und nicht das Alltägliche. Meine eigenen Vorurteile bemerke ich immer wieder, wenn ich an einem Flughafen in einem bisher unbekannten Land ankomme und mich wundere, wie modern alles ist. …
Und Russland? Zwiebeltürme, Matrjoschka-Figuren, Balalaikas und Plattenbauten? Das gibt es alles, aber es gibt noch viel mehr. Russland umfasst so viele Mikrokosmen und Mikrokulturen, dass man sich wie auf einer Weltreise fühlen kann, ohne das Land zu verlassen.
Hinter einer schroffen Fassade versteckt sich ein großes Herz. Und hinter der Ablehnung, die mancher dem Westen entgegenzubringen scheint, verbirgt sich das Gefühl, vom Westen enttäuscht worden zu sein. Oder die Ansicht, der Westen hasse Russland, Belege dafür zeigt ja jeden Abend das Fernsehen. Ich habe keinen Hass mitgebracht und im Gegenzug keine Feindseligkeit erfahren.
Die Leser von „Couchsurfing in Russland: Wie ich fast zum Putin-Versteher wurde.“ können sicher von den Erfahrungen des Autors lernen und/oder sich Ziele und Aktivitäten für eine Russlandreise vormerken oder davon streichen. Das Buch soll eine Anregung an alle sein, die gängigen Russland Klischees zu hinterfragen und sich ein eigenes Bild von diesem großen Land und seinen Menschen zu machen.
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